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  • AutorenbildSilvia Gillardon

Opera buffa

Aktualisiert: 20. Aug. 2021



Hattest du auch schon mal unbändig Lust darauf, einfach aufzustehen und lauthals zu singen? Mitten in einer Menschenmenge? Beim Schlange stehen vor der Kasse kann ich diesen Trieb noch knapp unterdrücken, in einem vornehmen Restaurant wird es schon schwieriger – ganz zu schweigen von einer Kirche inmitten andächtiger Leute.


Natürlich bin ich gut erzogen und weiss, dass es unerhört wäre, sich so dreist und laut hören zu lassen. Meistens kann ich mich beherrschen, und sonst ist da noch mein Allerliebster, der noch besser erzogen ist als ich und drohende Ausbrüche rechtzeitig erkennt und zu stoppen versteht. Oft reicht es, wenn er sanft seine Hand auf meinen Arm legt, mir tief in die Augen schaut und dabei den Kopf schüttelt. «Capito?»


Oft. Aber nicht immer. Wenn ich schon in Fahrt bin, dann nix capito. Es kommt vor, dass dann nur sein kräftiger Fusstritt meinen peinlichen Temperamentsausbruch ausbremsen kann. Dann gibt es natürlich Streit. Meist lauthals. So haben die Leute in der Nähe doch noch etwas davon. So ein richtiger Ehedisput ist für Zuhörer schliesslich fast noch ergiebiger als ein Liedchen.

Woher mein ominöser Trieb stammt, an den unpassendsten Orten lauthals zu singen, ist auch mir ein Rätsel. Ein Charakterfehler vermutlich, so wie andere dem Nachbarn Schnecken in den Garten werfen oder der Schwester in die Suppe spucken. Der Drang, aufzufallen, ja gar berühmt zu werden, kann es auf jeden Fall nicht sein. Ich weiss selbst, dass meine Singstimme eher «bescheiden» ist und höchstens ausreicht für das Mitträllern der Nationalhymne vor dem Anpfiff. Vielleicht ist es der Wunsch, diejenigen zu erschrecken, die mir eine solche Aktion niemals zumuten würden. Mich zum Beispiel.


***

Gestern war es mal wieder so weit. Allerdings war ich dieses Mal nicht die Täterin, sondern nur die Verführerin.

Es war im kleinen Restaurant des romantischsten Strandbades des Zürichsees. Zufällig entdeckte ich eine alte Bekannte, die sich in Begleitung eines wunderschönen, jungen Mannes befand. Der Mann hatte funkelnde Augen, rabenschwarzes Haar; am meisten aber fiel mir seine unglaublich faszinierende, tiefe Stimme auf. Wir, der Allerliebste und ich, durften uns dazusetzen.


Ein Opernsänger! Entzückt lauschte ich seinen Erzählungen. Er, ein gebürtiger Rumäne befände sich auf Gastspieltournee in der Schweiz. Rumänien! Sofort verspürte ich den Wunsch, ihn zur Darbietung eines Zigeuner- oder eben, politisch korrekt, Roma-Lieds aufzufordern. «Dann könntest du doch hier…»

Leider durchschaute der Allerliebste meine Absicht zu früh und unterbrach meinen Satz mit einem Fusstritt unter dem Tisch und beendete ihn mit einem lapidaren …»ein bisschen von Rumänien erzählen.»

Ich wollte aber keine Landschaftsschilderung. Ich wollte Musik! Wann sitzt man, bitte schön, schon mal mit einem echten Star der Oper an einem Tisch! «Was singst du denn?» versuchte ich, das Gespräch wieder in die richtige Spur zu bringen.

«Ich bin der Ehemann vor der Tür!» schmunzelte er. «Das ist der Titel der Opera Buffa von Offenbach, die wir auf Schloss Hallwyl aufführen. Ich bin dort als Bass engagiert.»

Opera Buffa? Ich gebe zu, dass ich ein bisschen enttäuscht war. Der Mann sah doch vielmehr so aus, wie man sich einen Don Giovanni vorstellt und nicht wie ein tollpatschiger Ehemann aus einer komischen Klamauk- Oper. Aber wenn er nicht so etepetete war wie einer dieser wirklich berühmten Stars, dann war er vielleicht eher bereit, etwas von seiner Kunst hören zu lassen? «Könntest du denn vielleicht…» Wieder ein Fusstritt unter dem Tisch. «Lass den armen Mann zufrieden!» zischte der Allerliebste.

Die Begleiterin des Sängers zückte ihr Handy. «Willst du mal hören, wie er tönt?» fragte sie stolz und startete eine Videoaufnahme seines Auftritts.

Leider hörte ich nur ein einfältiges «Ho, ho, ho, ho … melodisch zwar, aber eben nicht gesungen, sondern gerufen. Der typische, operettenhafte Unkenruf eines gehörnten Ehemanns? Dann winkte der Allerliebste schon ab und deutete peinlich berührt auf die anderen Gäste: «Leiser!»

Was für ein Spielverderber! Damit brachte er es fertig, dass ich trotz verzweifelten Ohrenspitzens kaum etwas mitbekam, als der schöne Sänger auf dem winzigen Bildschirm endlich zu singen begann.

«Herrlich!» log ich.

Als die Beiden sich kurz darauf verabschiedeten, flüsterte ich ihm ein fachmännisches «Toi, toi, toi» ins Ohr. Danach starrte ich mürrisch in mein leeres Glas.

«Bist du sauer?» fragte der Allerliebste honigsüss. Mein beleidigtes Schweigen machte ihn offensichtlich nevrös.: «Du hättest es doch tatsächlich fertiggebracht, ihn zum Singen zu überreden! Hier, zwischen all den Gästen! Weisst du eigentlich, wie peinlich das gewesen wäre?» «Vielleicht hätten sich die Leute ja auch gefreut? Aber so etwas kannst du dir natürlich nicht vorstellen,» schimpfte ich. «Darum geht es doch gar nicht. Du hättest ihn furchtbar in Verlegenheit gebracht. Bestimmt darf er als engagierter Sänger nirgends anderswo singen.» «Wie bitte?» «Vielleicht hat er Verträge, die ihm das Singen verbieten. Aus rechtlichen Gründen. Oder weil er seine Stimme schonen muss.» «Dann hätte er sich selbst zu wehren wissen.» «Als Rumäne? Kennst du denn deren Kultur? Bestimmt wäre er viel zu höflich gewesen, um Nein zu sagen.»


***


Noch bis zum Einschlafen grollte ich. Zu peinlich war ich also! Zu aufdringlich! Wie hatte ich braves Schaf mich von meinem Allerliebsten bloss um etwas so Grossartiges wie ein Privatkonzert bringen lassen können!

Doch dann erlebte ich doch noch einen tollen Auftritt meines Baritons. Er tanzte auf dem Balkongeländer des Restaurants über dem nachtschwarzen See, schmetterte lauthals eine Arie, das Publikum applaudiert begeistert, bis mich ein brutales «Ho, ho, ho, ho riss aus meinem romantischen Traum riss. Wer verhöhnte mich da?


***

Das nächste Mal werde ich ihn einfach unverblümt fragen, «meinen» Sänger. Ob er singen darf, will und kann. Für mich, für alle. Fusstritte hin oder her. Der Allerliebste wird noch Augen machen. Ho, ho, ho, ho.


cr sg 18.8.2021

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